:verbal-improvisation

'das problem ist', sagte sie, 'dass er nicht dumm ist'. es war ein endlich-wieder-schöner abend mit einer immer-wieder-schönen frau, wir redeten miteinander und hörten einander zu wie lange nicht mehr. und stunden später spuckt plötzlich ohne jeden zusammenhang mein kleinhirn dieses eine satzfragment wieder aus: 'das problem ist, dass er nicht dumm ist.'

...!

joe zawinul, der geniale jazzvirtuose, vom downbeat magazine in 27 jahren 26 mal zum weltbesten keyboarder erkoren, sagte in einem interview mit gunther baumann:
'so etwas ist für mich das interessante: immer wieder neue wege zu finden, das gehirn einzusetzen. musik ist für mich etwas heiliges, sie kommt aus der seele, aus dem gespür. weil man aber mit dem gehirn rein physisch nicht schnell genug ist, muss man lernen, dem gefühl eine intelligenz zu geben.'

es ist so ungemein schwierig: der musiker, der sich die seele aus den fingern improvisiert, muss immer diesen entscheidenden sekundenbruchteil schneller sein als sein eigenes gefühl - diesen sekundenbruchteil, der ihn zur nächsten note in der melodielinie, zum nächsten akkord in der harmonieführung gelangen lässt. der zwischenspeicher in einem mit ultraschnellen prozessoren ausgestatteten cd-player hat es da einfacher: er ruft nur statisch konserviertes ab. der pianist muss während des zwischenspeicherns und manuellen umsetzens seiner idee gleichzeitig noch die nächsten takte komponieren. und bis zum spielen wieder zwischenspeichern. und wieder gleichzeitig komponieren. zawinul nennt es 'das gehirn zersplittern'.

wir alle improvisieren tagtäglich, stündlich, in jedem gespräch, in jeder form der spontanen kommunikation. auch hier findet man sie, die virtuosen auf der verbalen klaviatur. begnadete redner, die während des gesprächs sowohl emotional auf ihr gegenüber eingehen als auch gleichzeitig die folgenden beiden sätze formvollendet vorformuliert haben. und auch hier gibt es die popstars und -sternchen, die mit einem funkelnden postulat aus dem hintergrundrauschen der menge erstrahlen und danach in sprachlosigkeit erstarren: 'out of memory'.

'das problem ist, dass er nicht dumm ist' - ist dieses 'nicht dumm', diese doppelte verneinung, nicht gleichbedeutend mit der vorsichtigen umschreibung von 'er ist intelligent'?
'das problem ist, dass er intelligent ist' ... wenn man nicht improvisieren muss, nicht auf diesen sekundenbruchteil des zwischenspeicherns angewiesen ist, sondern zeit zum rekapitulieren hat, passt zwischen die beiden aussagen 'nicht dumm' und 'intelligent' ein ganzer kontinent. was ist problematisch daran, nicht dumm zu sein? und um die emotionale melodieführung in dieser verbalen improvisation zurück zu erlangen, müsste es nicht heissen: 'das problem ist, dass er nicht intelligent genug ist?'

ich weiss es nicht, ich bin nicht intelligent genug, um es entscheiden zu können und ich werde sie nicht fragen. aber ich werde ein paar kapitel klavier darauf spielen. und habe sie - auf emotionaler ebene - ohnehin schon im gleichen augenblick verstanden.

und genau da beginne ich plötzlich, zawinul's aussage in frage zu stellen: der beseelte improvisateur kommt mit der eigenen emotionalen intelligenz kaum ans ziel, wenn er nicht auch das gefühl seines gegenübers erreicht. ohne sich das gehirn zu zersplittern.

 

 

 

     
   
 

 

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