:von der unmöglichkeit, im vakuum zu fliegen
frankfurt/main, gate a 21.
ich mag die athmosphäre auf flughäfen, diese tore zur welt,
die vom kosmopolitischen atem durchströmt werden. aber heute habe
ich keinen blick für das emsige treiben ringsum, denn meine aufmerksamkeit
ist einzig auf diesen einen punkt fokussiert: den ausgang von a 21.
dann kommt sie den korridor entlang. zierliche schritte, das handy am
ohr, gelbes halstuch.
ich bin nervös.
fliegen ist als 'die kontrollierte fortbewegung in der luft' definiert.
der zum flug notwendige dynamische auftrieb wird nur durch ständige
bewegung ermöglicht. im stabilen flugzustand befinden sich die
vier luftkräfte (auftrieb, gewichtskraft, vortrieb und luftwiderstand)
im gleichgewicht.
als sich die glastür am ausgang von a 21 öffnet, nimmt der
luftwiderstand zu.
sie lächelt mich an.
sie ist auch nervös.
die re-zahl (reynold'sche zahl) ist in der aerodynamik eine art dimensionsloser
maßstab für den vergleich der umströmung eines körpers
(meist der tragfläche), der in einem gasförmigen oder flüssigen
medium bewegt wird.
Re = v x l / v
v steht dabei für die fluggeschwindigkeit, l für die tiefe
der tragfläche und v (nü) für die kinematische
zähigkeit des umströmenden mediums.
sie hat heute früher feierabend. ich begleite sie in das büro
ihrer fluggesellschaft und schaue dabei zum ersten mal hinter die kulissen
eines flughafens. sie reicht mir ihre tasche und holt ihren mantel aus
der garderobe.
mit kleiner werdender re-zahl vergrössert sich der luftwiderstand
an der tragfläche, bis schliesslich bei einem wert von ca. 80.000
die kritische re-zahl erreicht ist: der widerstand hat sich so weit
vergrößert, dass die strömung von der flügeloberseite
abreisst und der auftrieb zusammenbricht. fliegen ist also unter anderem
eine frage der geschwindigkeit, der tiefe der auftriebsgebenden fläche
und der dichte des umgebenden mediums.
seltsam wie die natur - trotz der gesetze der unordnung - immer nach
gleichgewicht strebt. auf jede kraft wirkt eine gleich grosse gegenkraft.
die definition der re-zahl ist die annähernd perfekte beziehungsformel,
auch wenn sich im luftraum der zwischenmenschlichen beziehungen kaum
etwas berechnen lässt. aber auch hier entscheidet die fortbewegungsgeschwindigkeit
zweier menschen, die tiefe der auftriebgebenden fläche und die
dichte des emotionalen mediums über das überschreiten des
kritischen wertes: gemeinsam fliegen - oder bruchlandung. bei hoher
emotionaler dichte darf die auftriebgebende gemeinsame basisfläche
klein sein, ohne dass ein absturz droht. und eine immer tiefer werdende
basis vermittelt auch dann noch genügend auftrieb, wenn die geschwindigkeit
verlangsamt wird. nur im vakuum gibt es keinen auftrieb.
wir verlassen den flughafen. ich nehme das novemberwetter kaum wahr,
während wir zum auto herüber gehen. sie schaut mich an und
lächelt: 'fahren wir zu mir?'
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